Täter, Opfer, Vergebung | Schamanisches Weltbild Teil 3

Eisberg über und unter der Wasseroberfläche – Symbol für Bewusstsein, Tiefe und Wandlung von Täter-Opfer-Strukturen.

Geschätzte Lesezeit: 12 Minute(n)

Über die heilige Mitte zwischen Verantwortung, Mitgefühl und Frieden

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Triggerwarnung

Dieser Beitrag behandelt sensible Themen wie Gewalt, Schuld, Ohnmacht und traumatische Erfahrungen – auch aus persönlicher Sicht.

Es kann sein, dass dich der Text tief berührt, Erinnerungen und Gefühle weckt.

Bitte lies nur weiter, wenn du dich innerlich stabil fühlst.

Es ist vollkommen in Ordnung, Pausen zu machen oder Unterstützung zu suchen. Wenn dich etwas überflutet: Augen öffnen, Boden unter den Füßen spüren, drei ruhige Atemzüge – du bist hier und sicher.

Übung (mit Stop-Signalen)

Setz oder leg dich bequem hin und schließe die Augen. Atme in dein Herz. Stell dir beim Einatmen vor, wie alles, was du im Alltag von dir verstreut hast, wieder zu dir zurückfließt. Du sammelst dich. Du kommst an.

Beim Ausatmen formst du aus deinem Herzen eine Licht- oder Energiekugel. Mit jedem Atemzug wird sie größer: erst so groß wie dein Körper, dann dein Raum, dein Haus, dein Ort, vielleicht auch dein Land und die Erde.

Nimm wahr: alles, was du berührst, bist auch du: Erde, Haus, Menschen, Tiere, Luft, Freude und Schmerz. Du bist Liebe und Angst, Wut, Täter und Opfer – Ausdruck eines größeren Ganzen.

Stop-Signal: Wenn sich etwas zu viel anfühlt: Augen öffnen, Boden spüren, drei tiefe Atemzüge, Wasser trinken. Du entscheidest Tempo und Tiefe. Bleib nur so lange, wie es sich sicher anfühlt.

Zum Abschluss atme tief, kehre in deinen Körper zurück, spüre, wo du beginnst und endest. Vielleicht magst du dich strecken.

Integration der Übung

Es ist normal und auch völlig in Ordnung, wenn du an einigen Stellen dieser Übung Widerstand spürst. In unserer Welt gibt es Menschen, die verletzen, manipulieren, zerstören. Eins-Sein bedeutet nicht, über deine Erfahrung als Opfer hinweg zu gehen, Taten gutzuheißen oder zu entschuldigen. In diesem Beitrag geht es mir darum, das spirituelle Prinzip, das ich unter all diesen irdischen und menschlichen Mechanismen erkannt habe, zu beschreiben. Es geht nicht um Entschuldigung, es geht um Erklärung. Und vor allem kann es Wege aus dem Kreislauf von Hass öffnen und dir deine Eigenmacht zurück geben, falls du diese nicht (mehr) vollumfänglich spürst.

Wann immer dich diese Gedanken aufwühlen: mach bitte eine Pause, atme tief ein und länger wieder aus, beweg dich ein wenig und/ oder schau aus dem Fenster. Du darfst dir alle Zeit lassen, die du brauchst.

Mein Weg zum Frieden

Als Kind wollte ich Zauberin werden. Ich wollte Frieden für die Welt und jede Menge Schokolade für mich zaubern. Beides ist noch heute für mich relevant: Frieden als innerer Zustand, Schokolade als Sinnbild für die Süße des Lebens.

Lange fühlte ich mich ohnmächtig, machte Schuldige aus und nahm mich selbst als Opfer wahr. Das, zusammen mit Verletzungen sowohl aus meiner Kindheit und Jugend als auch aus früheren Inkarnationen, führte in eine Depression. Ein Beinahe-Unfall wurde zum Wendepunkt zusammen mit einem Gedanken, der buchstäblich aus der Erde aufstieg und durch meine Füße bis in mein Gehirn floss: ‚Nein, Tanja, du willst ja gar nicht sterben! Du willst nur anders leben.‘

Bald darauf traf ich auf die erste Schamanin, der ich begegnete, und sie holte mir einen großen Teil meiner Seele wieder zu mir zurück, der schon dort war, „wo es so schön glitzert“.

Doch meine Sicht auf die Welt, auf die Strukturen und darauf was und wer gut und was und wer böse war, hatte sich keineswegs geändert. Ich hatte noch keinen Ausweg gefunden.

Den fand ich erst als die Erfahrung des All-Eins-Seins in mir zu wirken begann. Ich begann, meine Schatten zu lieben, auch jene, die verletzen. Ich war mit wirklich unangenehmen bis skrupellosen Anteilen und Aspekten von mir konfrontiert. Das verschlug mir manchmal den Atem und auf meine Frage „Wie soll ich mich jemals wieder lieben können?“ bekam ich von meinen Geistern die einfache und klare Antwort: „Tu’s einfach.“

Selbstliebe wurde mein Tor zum Frieden. Liebe löst Schuld. Sie entzieht der Trennung ihre Nahrung.

Täter, Opfer – und die Ebene darunter

Schuld und Ohnmacht sind die Pole dieses „Spiels“. Aus schamanischer Sicht dienten sie der Erfahrung von Getrenntheit und hat sich Bewusstsein in diese Erfahrung hineinbegeben, um sich selbst in allen Facetten zu erkennen. Wir wollten erfahren, wie es ist, zu verletzen und verletzt zu werden. Diese Erfahrung entsteht dort, wo Bewusstsein sich von sich selbst trennt.

Mir ist zutiefst bewusst, dass es sich auf der menschlichen Ebene ganz und gar nicht nach einem Spiel anfühlt. Gefühle, die durch eine solche Verletzung entstehen, sind real und brauchen sowohl Akzeptanz, als auch Aufmerksamkeit.

Wenn ich von Seelenabsprachen spreche, meine ich: Auf einer tieferen Bewusstseinsebene – jenseits von Raum, Zeit und Persönlichkeit – stimmen wir Erfahrungen zu, um Bewusstsein zu erweitern. Auf menschlicher Ebene gelten Schutz, Grenzen, Recht und Konsequenzen. Auf seelischer Ebene kann zugleich ein Sinn liegen, den der Verstand nicht fassen kann. Beide Wahrheiten dürfen nebeneinander bestehen.

Mir persönlich hat es immer geholfen – wirklich immer -, die Perlen zu suchen, die in einer solchen Erfahrung liegen. Was gibt es zu verstehen, zu erkennen, zu entwickeln?

Wenn das Ziel Frieden ist

Ich wiederhole es, weil es mir wichtig ist: es gibt Erfahrungen, die uns für lange Zeit traumatisieren. All die Gefühle und Gedanken, vielleicht sogar an Rache, gehören zum Prozess dazu. Ich achte deine Erfahrung und wünsche dir, dass es dir gelingt, deinen Weg zu finden, damit so umzugehen, dass du dennoch ein möglichst schönes Leben haben kannst.

Frieden bedeutet nicht schönzureden. Frieden heißt nicht, dich selbst zu übergehen. Frieden bedeutet nicht, die Wunde zu verleugnen oder dich schneller zu „entwickeln“, als es deine Seele erlaubt.

Wahrer Frieden wächst, wenn Schmerz gesehen, Grenzen gewürdigt und Verantwortung geteilt werden dürfen – ohne Schuldzuweisung, aber mit Bewusstheit. Dann kann etwas Tieferes entstehen, das nicht aus Verdrängung, sondern aus Verstehen geboren ist.

Auf keinen Fall möchte ich, dass du glaubst, du seist selbst daran schuld. Es geht nicht darum, Schuld zu verteilen, sondern es geht mir darum, einen Weg zu finden, Frieden zu schließen, wenn du soweit bist. Das heißt auch, aus der Ohnmacht heraus zu kommen. Du nimmst dir die Macht über dein Leben zurück. Deswegen beschreibe ich diese Strukturen und die Sicht aus dem AllEs darauf.

Beziehungen und das Leben sind sehr häufig geprägt von solchen Opfer-Täter-Strukturen, die nicht unbedingt traumatisierend sind, aber doch giftig und zerstörerisch. Das Einnehmen einer sehr anderen Perspektive auf eine solche Situation kann neue Wege eröffnen.

Vergebung

„Du musst vergeben“ – dieser Satz erzeugt Druck und kann sekundär traumatisieren. In meinem Erleben ist Vergebung kein moralisches Gebot, sondern ein Zustand, der manchmal von selbst entsteht, wenn genug Wandlung geschehen und Sicherheit und Sinn gewachsen sind. Vergebung kann hilfreich sein, wenn sie freiwillig geschieht. Manchmal ist es schon viel, die Selbstverurteilung zu beenden.

Täter verstehen heißt nicht entschuldigen. Es meint, die zugrunde liegenden Verletzungen zu erkennen, die zur Tat geführt haben. So kann Mitgefühl entstehen, ohne Grenzen zu verlieren. Wenn du Täter und Opfer in dir beide achten kannst, öffnet sich etwas Neues: die Mitte, in der Frieden wohnt.

Und aus der Sicht des EinSeins gibt es niemanden außerhalb von uns. Es gibt also auch niemanden, dem wir vergeben könnten außer und selbst. Wann immer wir einem eigenen Täteranteil in uns selbst wirklich vergeben können, bringen wir ein Stück Frieden in die Welt.

FAQ

Wie kann ich Frieden finden, wenn der Täter keine Reue zeigt?

Frieden hängt nicht von der Einsicht anderer ab. Er wächst aus deiner eigenen Heilung, aus der Entscheidung, dich nicht länger innerlich an die Tat zu binden. Es geht nicht ums Vergeben auf Knopfdruck, sondern darum, dich selbst aus dem Kreislauf von Schmerz und Machtlosigkeit zu befreien.

Was, wenn ich mir selbst nicht vergeben kann?

Selbstvergebung entsteht, wenn du erkennst, dass Schuldgefühle oft ein Zeichen von Gewissen sind, nicht von Wertlosigkeit. Du darfst Verantwortung übernehmen, ohne dich zu verurteilen. Mitfühlende Selbstannahme löst mehr als jede Strafe.

Heißt Vergebung, dass ich Taten entschuldige?

Nein. Vergebung ist kein Freispruch, sondern ein Loslassen. Sie bedeutet nicht, Grenzen oder Konsequenzen aufzugeben. Sie kann sogar erst entstehen, wenn Klarheit und Schutz gesichert sind und zwar freiwillig, nicht erzwungen.

Was bedeutet „Täter- und Opferanteile in mir“ konkret?

Wenn alles eins ist, dann ist auch alles in mir. Ich BIN Täterin und ich BIN Opfer, ich BIN die, die beides integriert hat, und die, die manchmal noch zwischen diesen Polen hin- und hergeschleudert wird. Täter und Opfer sind zwei Ausdrucksformen einer einzigen Erfahrung – geboren aus dem Vergessen unseres Einsseins. Im Erinnern daran löst sich diese Dualität, weil kein Bedürfnis mehr bleibt, jemand anderen zu verletzen oder Ohnmacht erfahren zu wollen. Es gibt niemanden außerhalb von uns. Aus dieser Erkenntnis entsteht Frieden.

Wie kann ich mit Gefühlen von Hass oder Rache umgehen?

Diese Gefühle sind Teil der Integration. Sie zeigen an, dass Energie in Bewegung kommt. Entscheidend ist, sie zu fühlen, ohne ihnen Handlungsmacht zu geben. Atme, bewege dich, schreib sie auf … so können sie sich verwandeln, statt zu stauen.

Ist es spirituell falsch, wütend zu sein?

Nein. Wut ist eine natürliche Kraft zur Abgrenzung. Spirituelle Reife bedeutet nicht, keine Wut mehr zu fühlen, sondern sie bewusst zu lenken. Wenn du ihre Botschaft verstehst, verwandelt sie sich in Klarheit und Handlungsfähigkeit.

Was, wenn ich noch keinen Frieden spüre?

Das ist völlig in Ordnung. Frieden lässt sich nicht erzwingen. Er wächst organisch, wenn Sicherheit, Bewusstsein und Mitgefühl zusammenkommen. Manchmal ist der erste Schritt nur, das Bedürfnis nach Frieden überhaupt zuzulassen.


Weiterführend auf meiner Website

Hilfe & weitergehende Unterstützung

Wenn du dich akut bedroht fühlst: Notruf 110 (Polizei) / 112 (medizinischer Notfall). Bringe dich, wenn möglich, an einen sicheren Ort.

Begleitung kann spirituelle Arbeit sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen. Wähle Menschen, bei denen du dich sicher, gesehen und selbstbestimmt fühlst.

Hinweis: Dieser Text ersetzt keine Therapie. Hol dir Begleitung, wenn dich das Thema stark belastet.

Bildnachweis Beitragsbild: Romolo Tavani/ Shutterstock

Es grüßt dich herzlich

Tanja Richter


Tanja Richter - ein Portrait

Über die Autorin:

Tanja Richter begleitet Menschen dabei, in die Tiefe ihres Wesens einzutauchen, sich selbst liebevoll zu begegnen und in Verbindung mit der geistigen Welt zu wachsen. Ihre Arbeit ist geerdet, klar und schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung mit schamanischen Wegen, spiritueller Praxis und innerer Meisterschaft.

Erfahre mehr über Tanja Richter und ihre Arbeit …

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