Die Rehabilitation der Angst

Nahaufnahme einer sanften Welle im goldenen Licht der untergehenden Sonne – Symbol für Angst als Bewegung der Liebe, die Frieden werden will.

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Warum Liebe die Angst nicht bekämpft, sondern umarmt.

Angst hat einen schlechten Ruf. In der spirituellen Szene gilt sie oft als unbewusst, niedrig schwingend oder gar als Zeichen mangelnden Vertrauens. Heute möchte ich mal für die Angst in die Bresche springen und sie rehabilitieren.

Die vielen Gesichter der Angst

Angst ist nicht einfach nur ein Gefühl, das man loswerden müsste. Sie ist eine ganze Familie von Empfindungen, und jede hat ihren Sinn.

Es gibt die biologische Angst: die uralte, instinktive Reaktion unseres Körpers, wenn z.B. ein Kind auf die Straße läuft oder wir am Abgrund stehen. Sie schützt. Sie ist gesund.

Dann gibt es die konditionierte Angst, jene alten Muster im Nervensystem, die aus vergangenen Erfahrungen stammen. Etwas in uns erinnert sich an Schmerz, auch wenn die Situation längst vorbei ist.

Und es gibt die beziehungsspezifische Angst, also jene, die auftaucht, wenn wir uns auf Nähe einlassen. Sie wurzelt in unseren frühesten Bindungserfahrungen und flüstert: „Wirst du bleiben, wenn ich mich zeige?“

Andere Ängste sind existentiell: die Angst vor dem Tod, vor Sinnlosigkeit, vor dem Verlust der Kontrolle oder vor der Weite des Lebens selbst. Und manchmal begegnet uns eine spirituelle Angst, die Angst, sich selbst zu verlieren, wenn die Grenzen des Ichs sich auflösen.

Alle diese Ängste sind letztlich Bewegungen derselben Energie: Liebe in Kontakt mit Veränderung.

Angst und Liebe sind keine Gegensätze

Oft höre ich den Satz: „Triff Entscheidungen aus Liebe, nicht aus Angst.“

Es ist eine sprachliche Vereinfachung für zwei Zustände des Nervensystems und beide gehören zum Leben:

  • Angstmodus: Das System ist aktiviert. Der Körper will schützen, vermeiden, kontrollieren. Entscheidungen entstehen aus Verteidigung.
  • Liebesmodus (oder Vertrauensmodus): Das System ist reguliert. Der Körper fühlt sich sicher. Entscheidungen entstehen aus Verbindung, Kreativität, Mitgefühl.

Angst ist kein „Feind“, sondern ein Signal für Grenze und Schutz. Wenn du sie wahrnimmst, anstatt sie zu verdrängen, kann sie dich sogar tiefer in die Liebe führen. Sie zeigt dir: „Hier ist etwas verletzlich in mir, hier darf ich achtsam sein.“

Entscheidungen aus Angst werden dann problematisch, wenn du dir nicht erlaubst, sie zu fühlen. Dann steuert sie dich. Wenn du sie annehmen kannst, wandelt sie sich in Bewusstheit und dann kannst du aus Liebe entscheiden, mit der Angst an deiner Seite.

Die wahre Entscheidung ist also nicht zwischen Angst und Liebe, sondern zwischen unbewusster und bewusster Handlung. Wenn du bewusst bist, kannst du sagen: „Ja, ich spüre Angst und ich bleibe offen.“ Dann handelt die Liebe durch dich, selbst wenn die Angst da ist. Unbewusst heißt: „Ich spüre Angst und ziehe mich zurück, ohne hinzuschauen.“ Dann handelt die Angst in dir.

Wenn du die Angst bewusst oder unbewusst bekämpfst, bleibst du in Beziehung zu ihr, nur im Widerstand. Doch wenn du sie mitliebst, wenn du ihr erlaubst, da zu sein, dann geschieht etwas Wunderbares: Sie entspannt sich.

Auf körperlicher Ebene bedeutet das, dass sich dein Nervensystem reguliert, der Atem tiefer wird, der Herzschlag ruhiger. Auf seelischer Ebene lässt du dich selbst nicht mehr allein mit diesem Gefühl.

Die Angst vor der Angst

Die eigentliche Schwierigkeit beginnt oft nicht mit der Angst selbst. Die kommt und geht, wenn man ihr einen angemessenen Raum gibt. Die eigentliche Herausforderung beginnt mit der Angst vor der Angst. In dem Moment, in dem wir glauben, dass Angst ein Zeichen von Versagen oder Unbewusstheit ist, beginnt ein innerer Krieg. Dann kämpft das Leben gegen sich selbst.

Psycholog*innen nennen das Metaangst. Spirituell gesehen ist es das Vergessen, dass auch Angst zur Schöpfung gehört.

Freiheit entsteht nicht dadurch, dass wir keine Angst mehr haben, sondern dass wir keine Angst mehr davor haben, Angst zu haben. Dann kann sie sich entfalten, durchfließen, und wird wieder zu dem, was sie immer war: eine schlichte Bewegung der Lebenskraft.

Schöpfung und Fokus

Und natürlich wirkt hier auch das Prinzip der Schöpfung: Egal, wie unbewusst der Fokus ist, wohin er sich richtet, dort fließt Energie.

Wenn du Angst bekämpfst oder versuchst, sie wegzuschieben, bleibt dein Bewusstsein bei ihr. Du erschaffst immer wieder Situationen, in denen Angst eine Rolle spielt.

Kampf hält fest.
Annahme verwandelt.

Erst wenn du die Angst als Teil von dir annimmst, verändert sich der Fokus. Dann entsteht kein neues Drama, sondern Raum für Vertrauen.

Angst mitlieben

Der Weg zur Ruhe führt nicht über Kontrolle, sondern über Zuwendung. Die Angst will nicht weggemacht werden. Sie will gehört werden.

Wenn du ihr beistehst, ohne sie zu analysieren und ohne sie verändern zu wollen, verwandelt sie sich. Sie löst sich nicht in Luft auf, aber sie verliert ihre Schärfe. Sie wird zu einer Welle, die dir sagt:

„Du bist lebendig. Du fühlst. Du bist.“

Angst ist kein Irrtum der Schöpfung, sondern Ausdruck ihrer Intelligenz.

Sie zeigt, wo Leben fließt und wo eine Grenze gebraucht wird. Wenn du sie mitliebst, verändert sich nicht nur dein inneres Klima, sondern die Welt um dich herum.

Nimmst du deine Angst mit in dein Herz,
schließt du Frieden mit dir selbst.

Es grüßt dich herzlich

Tanja Richter


Tanja Richter - ein Portrait

Über die Autorin:

Tanja Richter begleitet Menschen dabei, in die Tiefe ihres Wesens einzutauchen, sich selbst liebevoll zu begegnen und in Verbindung mit der geistigen Welt zu wachsen. Ihre Arbeit ist geerdet, klar und schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung mit schamanischen Wegen, spiritueller Praxis und innerer Meisterschaft.

Erfahre mehr über Tanja Richter und ihre Arbeit …

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