Der Jahreskreis – im Rhythmus der Natur leben

Symbolbild für die Rückverbindung mit der Natur: Eine Frau überblickt aus einer Wurzelhöhle die Stadt – zwischen Rückzug und Weitblick.

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Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im September 2022 veröffentlicht und im November 2025 grundlegend überarbeitet und erweitert.

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Verbindung statt Entfremdung: Warum wir den natürlichen Kreislauf wieder spüren sollten

Wir leben in einer Zeit, in der wir scheinbar alles kontrollieren können: Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Tag und Nacht. Und doch haben viele von uns den inneren Kontakt zu diesen natürlichen Rhythmen verloren. Der Jahreskreis erinnert uns daran, dass alles Leben in Zyklen geschieht: Werden, Wachsen, Vergehen und Neubeginn.

Wenn wir uns wieder an diesen Kreisläufen orientieren, entsteht etwas Kostbares: ein Gefühl von Verbundenheit. Mit der Erde, mit den Jahreszeiten und auch mit uns selbst.

Folgen der Entfremdung von der Natur

Viele von uns haben sich, teils bewusst, teils unbewusst, von der Natur und ihren Rhythmen entfernt.
Wir wollten nicht „primitiv“ erscheinen, sondern modern, fortschrittlich, zivilisiert. Die Industrialisierung, die strikte Taktung von Arbeitszeit, Schule und Alltag haben das ihre dazu beigetragen. Das hat nicht nur ökologische, sondern auch seelische Folgen.

Doch Entfremdung von der Natur bedeutet mehr, als die Umwelt zu zerstören. Sie betrifft auch uns selbst: unser Nervensystem, unsere Wahrnehmung, unseren inneren Kompass. So wissen manche Kinder, die nie aus ihren Stadtteilen herausgekommen sind, tatsächlich nicht mehr, woher Milch kommt oder was z.B. Schnittlauch ist.

Mit der Möglichkeit, jederzeit das Licht anzuschalten und im Supermarkt alles zu jeder Jahreszeit zu kaufen, ist es scheinbar nicht mehr nötig, im Einklang mit den Rhythmen zu leben. So nennen wir Müdigkeit im Herbst und Winter heute „Herbstblues“ oder „Winterdepression“. Für mich beginnt im Herbst einfach die Höhlenzeit – eine Phase der Einkehr, des Loslassens, der kreativen und auch chaotischen, also unkontrollierten, inneren Neuordnung und des Sammelns von Kraft.

Wenn wir uns wieder als Teil der Natur begreifen und nicht nur als Funktionsträger in einem durchgetakteten System, erkennen wir, dass auch in uns ein innerer Jahreskreis wirkt. Müdigkeit, Rückzug, das Nachlassen von Leistungsdrang wären dann nichts „Krankhaftes“, das es zu überwinden gilt, sondern Ausdruck jener stilleren Energie, die auch in der Natur überall spürbar ist.

Pflanzen ziehen sich zurück, Tiere halten Winterschlaf. Warum sollten wir Menschen uns da ausnehmen?

Die Kräfte der Natur wirken in uns, selbst wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen. Vielleicht spüren wir sie, wenn uns im Herbst die Müdigkeit überkommt oder im Frühling Leichtigkeit und Aufbruchslust erwachen. Doch statt diese Impulse zu ehren, versuchen wir sie zu „reparieren“.

Wir leben gegen unseren Körper, gegen unsere inneren Rhythmen und wundern uns über Erschöpfung. Nicht jede Wintermüdigkeit ist eine Depression und nicht jede Depression entsteht durch Lichtmangel. Oft ist sie eine Folge der Zwänge, in denen wir leben, und die Unmöglichkeit, unseren inneren Impulsen zu folgen.

Ich frage mich immer wieder: Wie würde es sich anfühlen, wenn wir unsere Wirtschaft an den Rhythmus der Natur anpassen würden? Wenn Unternehmen dem Jahreskreis folgen mit Phasen der Aktivität und der Einkehr, so wie es die Natur vormacht?

Schon heute spüren wir diesen Rhythmus in manchen Bereichen: Die Landwirtschaft folgt dem Jahreslauf, im Baugewerbe ruht vieles im Winter.

Doch es geht um mehr als nur weniger Arbeit. Es geht darum, die Natur als Taktgeberin unseres Lebens zu begreifen und mit ihr zu fließen, statt über sie hinwegzugehen oder gegen sie zu arbeiten.

Denn die Energien, die in der Natur unterwegs sind, bewegen sich auch in uns. Wenn wir unsere Schöpferkraft im Einklang mit diesen Kräften leben, wird sie klarer, kraftvoller, freier. Unsere Arbeit wird dann nicht nur wirksamer, sie wird lebendiger, natürlicher und verbundener.

Astronomisches

Der Jahreskreis, dem wir folgen, ist nicht nur ein poetisches Bild. Er beruht auf den Bewegungen der Erde selbst: Unser Heimatplanet ist leicht geneigt – um etwa 23,4 Grad – und kreist einmal im Jahr um die Sonne. Diese Neigung bewirkt, dass im Jahreslauf immer andere Regionen mehr oder weniger Sonnenlicht erhalten. So entstehen die Jahreszeiten, die Tag- und Nachtgleichen und die Sonnenwenden, natürliche Meilensteine, an denen sich viele alte Feste orientieren.

Wenn wir uns auf diese kosmischen Rhythmen einstimmen, nehmen wir Teil an etwas Größerem: einem Zusammenspiel von Erde, Sonne und Leben, das uns seit jeher trägt.

Unser Ausflug in die Ratio und was wir ihr verdanken

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die meinen, früher sei alles besser gewesen. Wenn ich an das Mittelalter denke, dann denke ich an Krankheit und frühes Sterben, an harte, unfreie Lebensbedingungen für viele Menschen, an Hexenverfolgung, Folter, Todesstrafen, Willkür und Gewalt. Nein, dahin will ich nicht zurück.

Im Gegenteil: Ich bin jeden Tag dankbar für die Technik und die Errungenschaften unserer Zeit. Zum Beispiel liebe ich meine Waschmaschine. Wenn ich mir vorstelle, ich müsste meine Wäsche im Nord-Ostsee-Kanal waschen, tun mir allein bei dem Gedanken die Hände weh.

Unser jahrhundertelanger Ausflug in die Ratio hat uns vieles ermöglicht: Wir konnten beginnen, Zusammenhänge zu erkennen und auf naturwissenschaftliche Weise zu erklären – Wissen, das früher nur wenigen zugänglich war, wurde so nach und nach Allgemeingut.

Durch die heutigen Möglichkeiten der Fortbewegung und Kommunikation können wir die Erde in ihrer Ganzheit wahrnehmen. Wir erkennen: Sie ist klein, lebendig und verletzlich. Wir können nicht nur spüren, dass wir alle verbunden sind, wir können es sehen, wenn wir hinblicken.

Ich glaube an Zyklen. Nicht nur in der Natur, sondern auch in unserer kulturellen und geistigen Entwicklung.
Der Glaube hatte sich in vielen Epochen in Machtstrukturen verfangen, die den Menschen klein hielten.
Die Wissenschaft hat uns geholfen, uns daraus zu befreien. Sie hat uns gelehrt, selbst zu denken, zu prüfen und Verantwortung für unsere Erkenntnisse zu übernehmen.

Und doch: Auch Wissenschaft bleibt menschlich. Jede Forscherin, jeder Forscher stellt Fragen, die durch die eigene Geschichte, Prägung und Perspektive beeinflusst sind.

Vollständige Objektivität wäre nur in einem beziehungslosen Raum möglich, doch das Leben selbst ist Beziehung.

Unser Weg in die Ratio war ein notwendiger Teil der menschlichen Entwicklung: Er hat uns gelehrt, die äußeren Gesetze zu erkennen und uns gleichzeitig in neue, unsichtbare Zwänge geführt: in Systeme, Zahlen und Effizienz. Er hat uns gezeigt, wie viel Macht in Erkenntnis liegt und nun ist es an der Zeit zu erkennen, wie viel Weisheit darin liegt, diese Macht mit Herz zu verbinden.

Rückkehr zur Natur aus freiem Herzen

Heute wären wir rein technisch längst in der Lage, das Überleben der Menschheit zu sichern. Vorausgesetzt, wir zerstören nicht weiterhin unsere eigenen Lebensgrundlagen.

Genau jetzt wäre ein guter Moment, unseren Fokus zu verändern: Statt der Natur trotzen zu wollen, könnten wir beginnen, uns aus freiem Willen wieder mit ihr zu verbinden. Nicht, weil wir ihr ausgeliefert sind. Sondern aus einer inneren Gewissheit heraus, dass wir Teil von ihr sind. Und weil wir spüren, dass es gut ist, mit ihr zu schwingen und zu tanzen.

Immer mehr Menschen, auch in der Wissenschaft, erkennen, dass Pflanzen, Tiere, Pilze und ganze Ökosysteme alles andere als primitiv sind.

Forschungen zeigen, dass Bäume über Pilzgeflechte unter der Erde miteinander kommunizieren, dass Pflanzen Duftstoffe aussenden, um sich gegenseitig zu warnen, und dass selbst in Zellen und Mikroorganismen Formen von Kooperation, Anpassung und Resonanz wirken.

Auch in der Neurobiologie und Psychologie wächst das Verständnis, dass Bewusstsein kein exklusiv menschliches Phänomen ist, sondern eine Qualität des Lebendigen selbst.

All diese Phänomene sind Ausdruck einer Intelligenz, die nicht vom Denken ausgeht, sondern vom Leben selbst.

Wenn wir uns vor Jahrhunderten auf den Weg gemacht haben, dieser vermeintlichen „Primitivität“ zu entfliehen, indem wir uns als etwas Höheres empfanden, dann dürfen wir uns heute getrost wieder integrieren. Denn wir beginnen zu erkennen, wie intelligent, komplex und feinfühlig das Netz des Lebens wirklich ist.

Wir können wieder beginnen, mit der Natur in einen echten Dialog zu treten. Nicht nur mit unserem Herzen, sondern auch mit unserem Verstand. Unsere Ratio und unsere Intuition dürfen sich gegenseitig ergänzen, wie zwei Partner, die sich lange fremd waren und nun neu begegnen.

Wenn wir uns darauf einlassen, nicht nur individuell, sondern auch als Gesellschaft, könnten sich viele notwendige Prozesse beschleunigen. Wir würden Möglichkeiten entdecken, das große Durcheinander zu ordnen: in uns und um uns herum. Denn so, wie es in unserem Inneren aussieht, spiegelt sich auch der Zustand der Welt.

Wenn wir beginnen, mit der Erde wieder in Beziehung zu treten, verändert sich auch unsere Beziehung zu uns selbst und umgekehrt.

Der Jahreskreis als Entwicklungshilfe

Eine kraftvolle Möglichkeit, wieder in Verbindung mit der Natur zu treten, ist das bewusste Feiern der Jahreskreisfeste. Sie erinnern uns daran, dass alles Leben einem Rhythmus folgt: dem Einatmen und Ausatmen der Erde. Wenn wir diesem Rhythmus folgen, wirkt sich das auf vielen Ebenen aus: auf unseren Körper, unseren Geist, unsere Seele.

Doch es geht dabei um mehr als Tradition. Seit jeher waren diese Feste ein Weg, in Kontakt mit den Wesen und Kräften der Natur zu treten. Wir schenken ihnen Aufmerksamkeit, Dankbarkeit und Beziehung und werden selbst dadurch genährt.

Eine besonders schöne Tradition ist für mich das Erntedankfest: Nicht nur wir Menschen erhalten, was wir brauchen. Auch die Naturwesen bekommen ihren Anteil, und das Leben selbst wird gefeiert.

Wenn wir uns bewusst dem Jahreskreis zuwenden, können wir seine Kraft auf vielfältige Weise in unser Leben einladen. Wir stimmen uns ein auf Energien, die ohnehin gerade in der Natur, in uns selbst und im Jahreslauf schwingen.

So fällt es uns leichter, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen und gut für uns selbst zu sorgen. Wir beginnen zu verstehen, warum manche Phasen voller Tatendrang sind und andere eher Rückzug, Ruhe und Loslassen einfordern. Vielleicht verstehen wir sogar unsere Kinder besser, weil wir die natürlichen Rhythmen hinter ihren Gefühlen und Verhaltensweisen erkennen.

Auch in unserer Arbeit oder unseren Unternehmen können wir uns diesen natürlichen Kräften anvertrauen. Frühling und Sommer laden zu Aktivität, Sichtbarkeit und Gestaltung ein, und Herbst und Winter hingegen zum Reflektieren, Ernten und Innehalten. In dieser Balance entsteht Nachhaltigkeit: für uns selbst, für unsere Gemeinschaften und für die Erde.

Dieses Bewusstsein spiegelt sich auch in Bewegungen wie der Permakultur oder der Gemeinwohl-Ökonomie wider. Die eine orientiert sich an den Kreisläufen der Natur, die andere an den Kreisläufen menschlicher Werte. Beide erinnern uns daran, dass alles Lebendige nur im Gleichgewicht gedeiht: zwischen Geben und Nehmen, Aktivität und Ruhe, Individualität und Gemeinschaft.

Wenn wir näher an die Natur rücken, können wir sie nicht mehr zerstören.
Denn wir spüren: Wir sind Teil von ihr.

Und genau dort kann ein neues Kapitel der Menschheit beginnen – eins, in dem wir uns erinnern, dass Wirtschaft, Kultur und Bewusstsein nicht getrennt von der Erde existieren, sondern mit ihr atmen.

FAQ

Was bedeutet es, im Rhythmus der Natur zu leben?

Im Rhythmus der Natur zu leben heißt, die Jahreszeiten als Spiegel innerer Prozesse zu verstehen. Aktivität und Rückzug, Blüte und Ruhe dürfen sich abwechseln. So entsteht Balance statt Dauerleistung: im Körper, in Beziehungen und im Beruf.

Warum ist der Jahreskreis heute wieder wichtig?

Weil wir viele natürliche Rhythmen verloren haben. Künstliches Licht, Dauerkonsum und permanente Erreichbarkeit überlagern den natürlichen Wechsel von Hell und Dunkel, Tun und Sein. Der Jahreskreis hilft, diesen Kontakt zurückzugewinnen.

Wie kann ich mich persönlich mit dem Jahreskreis verbinden?

Beobachte bewusst, was sich in der Natur verändert, z.B. Licht, Temperatur, Geräusche, Pflanzen. Feiere kleine Rituale zu den Jahreskreisfesten, wie Kerzen anzünden zur Wintersonnenwende oder Danken zur Erntezeit. Das öffnet Achtsamkeit und Verbindung.

Was hat das mit seelischer Gesundheit zu tun?

Unser Nervensystem folgt denselben Rhythmen wie die Natur. Wenn wir diese missachten, entsteht Stress oder Erschöpfung. Sich dem Jahreslauf anzupassen, stabilisiert innere Ruhe, stärkt Resilienz und mindert depressive Verstimmungen.

Wie passen Ratio und Intuition zusammen?

Verstand und Intuition sind keine Gegensätze. Die Ratio erkennt äußere Gesetze, die Intuition spürt die innere Ordnung. Erst im Zusammenspiel entsteht Weisheit, ähnlich wie Tag und Nacht gemeinsam den Tag komplett machen.

Was haben Permakultur und Gemeinwohl-Ökonomie mit dem Jahreskreis zu tun?

Permakultur folgt den Kreisläufen der Natur, Gemeinwohl-Ökonomie den Kreisläufen menschlicher Werte. Beide basieren auf Balance und Rückkopplung: geben, nehmen, regenerieren. Damit übertragen sie Naturprinzipien auf Wirtschaft und Gemeinschaft.

Kann ich den Jahreskreis auch in meiner Arbeit leben?

Ja. Frühling und Sommer eignen sich für Projekte, Sichtbarkeit und Expansion. Herbst und Winter sind ideal für Reflexion, Integration und Planung. Wer diese Rhythmen achtet, arbeitet nachhaltiger und mit mehr Freude.

Wie verändert Naturverbundenheit unser gesellschaftliches Denken?

Wer sich als Teil der Erde erlebt, denkt weniger in Konkurrenz und mehr in Kooperation. Wirtschaft und Politik können dann auf Fürsorge, Kreislaufprinzipien und langfristige Verantwortung ausgerichtet sein statt auf kurzfristigen Profit.

Ist das nicht romantisch gedacht?

Nein. Es ist realistisch, weil biologische Systeme nur durch Ausgleich bestehen. Nachhaltige Wirtschaft und seelische Gesundheit beruhen auf denselben Prinzipien: Rhythmen, Rückkopplung und Regeneration. Das ist gelebte Ökologie – innerlich wie äußerlich.

Wie kann ich beginnen?

Starte klein: Spaziere regelmäßig zu einer bestimmten Tageszeit, beobachte Veränderungen an einem Baum, notiere monatlich, was in dir wächst oder ruht. Solche Routinen holen dich zurück in den natürlichen Fluss des Lebens.

Es grüßt dich herzlich

Tanja Richter


Tanja Richter - ein Portrait

Über die Autorin:

Tanja Richter begleitet Menschen dabei, in die Tiefe ihres Wesens einzutauchen, sich selbst liebevoll zu begegnen und in Verbindung mit der geistigen Welt zu wachsen. Ihre Arbeit ist geerdet, klar und schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung mit schamanischen Wegen, spiritueller Praxis und innerer Meisterschaft.

Erfahre mehr über Tanja Richter und ihre Arbeit …

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