Grenzen setzen mit Liebe – Der Weg der Mitte zwischen Klarheit und Verbindung

Eine Hand stoppt fallende Dominosteine – symbolisch für das Setzen von Grenzen

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Diesen Beitrag über das Setzen von Grenzen schreibe ich mit Zustimmung der Frau, um die es hier geht. Danke von Herzen für diese Erlaubnis!

Ich habe das Gefühl, dass ihre Geschichte auch viele andere Mütter, und sicher auch manche Väter, betrifft, die sich ähnliche Fragen stellen.

Vor einiger Zeit führte ich ein sehr persönliches Gespräch mit einer Frau über ihren inzwischen jugendlichen Sohn. Sie wünschte sich meine Sicht. Ich zögerte kurz, weil ich keine eigenen Kinder habe, doch sie meinte, vielleicht sei ich gerade deshalb die Richtige.

Kinder & Entscheidungen

Sie erzählte mir, dass sie ihren Sohn sehr frei erzogen hatte. Schon als kleines Kind durfte er in fast allen Entscheidungen mitbestimmen. Heute sieht sie, dass das auch überfordern kann, denn ein Kind will zwar mitbestimmen, aber nicht alles allein tragen. Zu viele Entscheidungen können verunsichern, wenn der sichere Rahmen fehlt.

Grenzen setzen

Was war, lässt sich nicht mehr ändern und nun musste sie mit den Folgen leben. Ihr Sohn war es gewohnt, selbst zu entscheiden. Grenzen kannte er kaum, zumindest nicht von ihr. Jetzt bat er sie um Zustimmung zu etwas, das ihr völlig gegen den Strich ging. Und sie merkte: Diesmal kommt sie nicht drum herum. Sie musste Nein sagen – etwas, das sie bisher vermieden hatte.

Für ihren Sohn war das ungewohnt. Vielleicht sogar beängstigend. Denn wer immer freie Bahn hatte, ohne Widerspruch, erlebt ein plötzliches Nein nicht nur als Grenze, sondern womöglich als Liebesentzug.

Verstanden hatte sie es längst: mit dem Verstand. Doch ihr Herz schmerzte.

In unserem Gespräch wurde allmählich deutlich, was sie wirklich quälte. Sie fürchtete, dass ein Nein zur Bitte ihres Sohnes wie ein Nein zu ihm als Ganzem wirken könnte.

Ein liebevoll gesetztes Nein ist kein Nein zum Kind, sondern ein tiefes Ja. Denn Grenzen geben Halt, wenn sie achtsam und klar gesetzt werden.

Weiblichkeit & Männlichkeit – Beides ist in jedem Menschen

Lange glaubte meine Gesprächspartnerin, dass Mütter immer nährend, kuschelig und zustimmend sein sollten und dass das Grenzen setzen eher Sache des Vaters sei. Doch diese Verteilung ist nicht nur einseitig, sondern funktioniert auch schlicht nicht, wenn der Vater nicht präsent ist. Wie soll ein Kind lernen, mit Grenzen umzugehen – mit den eigenen und denen anderer – wenn niemand es ihm vorlebt?

Bewertung ist nicht Urteil

Auch das Thema Bewertung kam zur Sprache. Sie hatte Sorge, durch ein Nein ins Bewerten zu geraten. Doch Bewertung ist nichts Schlechtes, im Gegenteil: Wir brauchen sie, um uns zu orientieren. Für mich bedeutet Bewerten, zu spüren, was ich mag und was nicht, was ich in meinem Leben haben möchte und was nicht. Erst wenn aus einer Bewertung ein festes Urteil wird, das keinen Wandel mehr zulässt, entsteht Enge und kann uns am Leben hindern. Eine Bewertung lässt Spielraum. Ein Urteil nicht.

Mir wurde einmal mehr bewusst: Wir leben in einer Zeit, in der das Pendel zwischen den Extremen zur Mitte strebt: ins Sowohl-als-auch.

Noch vor wenigen Jahrzehnten, und zum Teil auch heute noch, bedeutete Erziehung vor allem Bevormundung, Gehorsam und Härte. Es gab Ohrfeigen und Schlimmeres, wenn ein Kind nicht spurte. Neins waren selbstverständlich, oft ohne Erklärung.

Dann kam die 68er-Bewegung mit ihren antiautoritären Ideen. Sie war wichtig, um alte Härten aufzubrechen. Doch mancherorts schlug das Pendel zu weit in die andere Richtung: Kinder wurden sich selbst überlassen, durften alles und hörten kaum noch ein Nein. Auch das kann, nach meinem Empfinden, in eine Form von Verwahrlosung führen.

Ein „Nein“ als Liebesdienst

Auf dem Weg der Mitte, im Sowohl-als-auch, braucht es beides: Ja und Nein. Nicht als Gegensätze, sondern als Ausdruck von Achtsamkeit, Klarheit und Liebe. Es geht nicht darum, einfach das Gegenteil von früher zu tun, sondern dem Kind wirklich gerecht zu werden. Ein Nein kann ein großes Geschenk sein, wenn es dem Kind hilft, sich besser in der Welt zu orientieren.

Ein Nein ist gut geeignet, sich beim eigenen Kind unbeliebt zu machen. Das auszuhalten, ist ein großer Liebesdienst. Doch wenn Eltern von Anfang an klare Jas und klare Neins geben, liebevoll und konsequent, dann gibt es später meist gar nichts auszuhalten. Denn Kinder, die liebevolle Klarheit gewohnt sind, erleben sie nicht als Zurückweisung, sondern als Sicherheit. Sie spüren: Ich werde geführt, nicht kontrolliert. Ich bin gemeint, nicht verlassen. Und das schenkt ihnen Halt im Innen und Außen.

Der Weg der Mitte, das Sowohl-als-auch, ist nach meiner Erfahrung in jedem Lebensbereich eine große Unterstützung. Ganz gleich, worum es geht:

  • Arbeiten – Faulsein
  • Hingabe – Selbstbestimmung
  • Freiheit – Sicherheit
  • Geld sparen – Geld fließen lassen
  • Licht – Dunkel
  • maskulin – feminin

Wir brauchen beide Pole – immer wieder. Um frei zu sein und in jedem Moment neu entscheiden zu können: Was möchte hier und jetzt leben? Was wird gebraucht? Was will ich geben und wer will ich gerade sein?“

Etwas hatte sich gelöst. Der Schmerz wich aus ihrem Herzen und machte Platz für Klarheit. Sie hatte verstanden: Ihr Nein zur Entscheidung ihres Sohnes war in Wahrheit ein tiefes Ja zu ihm als Mensch.

Freilassen und da sein

Und doch blieb die Herausforderung: Ihren Sohn wirklich freizulassen, auch wenn sie seinen Weg nicht gutheißen konnte. Im Moment erreichte sie ihn nicht. Er hatte sich verschlossen. Alles, was sie tun konnte, war: da sein. Ihm ihre Liebe zeigen. Und ihm sagen: Ich bin hier, wenn du mich brauchst. Ziehen, Bevormunden oder Festhalten würden ihn nur weiter entfernen. Er musste seine eigenen Erfahrungen machen.

Und wenn er sich eines Tages wieder zu ihr umdreht, wird er vielleicht nicht sagen: „Danke für dein Nein.“ Aber er wird es fühlen.

Natürlich sind Eltern und Kinder so vielfältig wie das Leben selbst und jede Beziehung ist einzigartig. Darum braucht es individuelle Wege, um in Liebe und Verantwortung zu wachsen. Der Schritt aus der Sentimentalität in eine klare, zugewandte Haltung bringt Herausforderungen mit sich. Und manchmal ist es hilfreich, sich dabei Unterstützung zu holen.

Möge dich auf deinem Weg eine liebevolle Mischung aus Sanftmut, Klarheit und innerer Stärke begleiten – gerade dann, wenn das Nein schwerfällt.

Es grüßt dich herzlich

Tanja Richter


Tanja Richter - ein Portrait

Über die Autorin:

Tanja Richter begleitet Menschen dabei, in die Tiefe ihres Wesens einzutauchen, sich selbst liebevoll zu begegnen und in Verbindung mit der geistigen Welt zu wachsen. Ihre Arbeit ist geerdet, klar und schöpft aus jahrzehntelanger Erfahrung mit schamanischen Wegen, spiritueller Praxis und innerer Meisterschaft.

Erfahre mehr über Tanja Richter und ihre Arbeit …

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