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Inhaltsverzeichnis ein- oder ausklappen
- Einleitung
- Wie du braune Esoterik erkennst
- Die Sache mit den Geheimnissen
- Ein Wort und sein Heim
- Alles ist Eins – aber nicht alles ist gleich
- Das Kino im Himmel
- Die Gefahr der „besonderen Aufgabe“
- Die Verlockung echter Sehnsucht
- Die Grenze zwischen Spiritualität und Wahn
- Alte Wunden
- So kannst du unterscheiden
- Vom „Dagegen“ ins Gestalten
- Zum Schluss
- FAQ
- Weiterlesen / Quellen
Wenn du dich auf deinen bewussten spirituellen Weg begibst und dich auf die Suche nach dir selbst machst, ist es fast unvermeidlich, dass du auf diesem Weg auch der braunen Esoterik begegnest. (Mit brauner Esoterik meine ich Strömungen, die spirituelle Begriffe für nationalistische, autoritäre oder angstbasierte Ideologien nutzen.) Nun ja, mir ist das jedenfalls passiert, z.B. während meiner bayerischen Zeit.
Da gab es mal eine Veranstaltung rund um den wunderschönen Chiemsee. Es ging um eine Friedensmeditation. Eigentlich wollte ich dabei sein. Doch ich hatte mir in dieser Zeit bereits angewöhnt, genau zu schauen, wer sie organisiert und welche Energie solche Veranstaltungen wirklich tragen.
Und als ich sah, wer sie organisierte und dort mitmachte, wurde mir klar: Ich kann da nicht hingehen. Da war diese klebrige Energie, dieses Gefühl, dass unter dem Wort Frieden etwas ganz anderes mitschwingt. Etwas, das trennt, statt verbindet. Etwas, das mit Angst und Feindbildern arbeitet, während es sich Licht nennt.
Gerade spirituell offene und suchende Menschen können empfänglich für solche Felder sein, weil ihre Suche oft gespeist ist aus der Sehnsucht nach Frieden, aus Schmerz oder aus einem echten Wunsch nach so etwas wie „Wahrheit“. Und genau das macht sie verletzlich. Denn dort, wo Herzoffenheit nicht begleitet wird von Erdung und klarem Denken, kann sich die Liebe leicht in Nebel verwandeln.
Ich weiß, wie klebrig diese Energie ist und wie sie in ihren Bann ziehen kann. Ich habe es auf meinem Weg erfahren und habe auch Erfahrung in meiner Familie damit. Daher möchte ich dir hier einige Möglichkeiten zeigen, wie du Energien, Texte, Botschaften unterscheiden und einordnen und deinen Weg bewusst wählen kannst.
Wie du braune Esoterik erkennst
- Sie arbeitet mit Angst. Sie zeigt dir nicht, wie du mit deinen Angstgefühlen umgehen kannst, wie du sie in dir selbst erlösen kannst, sondern fügt neue Angst hinzu.
- Sie hält Feindbilder aufrecht und schafft neue Feinde und wie viele Kriegstreiber der Vergangenheit, wähnt sie sich auf der Seite der „Guten“. Das „Gute“ halte ich inzwischen für sehr gefährlich, im Sinne von moralisierender Selbstüberhöhung und Bereitschaft zu Gewalt. Im Namen des „Guten“ wurden viele Kriege geführt bzw. gerechtfertigt.
- Sie spricht von Wahrheit, aber meint Kontrolle. Kontrolle über andere, über Deutung, über Unsicherheit. Wahrheit wird dann zu einem Werkzeug der Macht statt eines Weges der Freiheit. Doch Wahrheit ist wandelbar. In etwas Unendlichem wie dem Großen Geist kann es letztlich keine absolute Wahrheit geben, weil das hieße, dass es eine Begrenzung geben müsste.
Und so ist Wahrheit Bewegung, Beziehung, lebendig und durchdrungen von Liebe. Sie verändert sich, wenn wir uns verändern. Wer Wahrhaftigkeit sucht statt Wahrheit, gibt die Kontrolle auf und kann Frieden finden. Wahrhaftigkeit braucht keine Überzeugung. Sie ist schlicht das, was jetzt ehrlich ist. - Braune Esoterik klingt spirituell, aber im Ton schwingt Kälte. Sie benutzt Begriffe wie Licht, Freiheit oder Erwachen und grenzt gleichzeitig aus, wer nicht dazugehört. Ihr Ziel ist nicht Verbindung, sondern Zugehörigkeit zu einer kleinen, „wissenden“ Gruppe.
- Sie kämpft unaufhörlich gegen das, was sie als Dunkel bezeichnet und merkt nicht, dass sie selbst im Dunkeln, also in unbewusstem Nebel, im Nichtsichtbaren, wandelt, solange sie kämpft. Es ist derselbe Kreislauf aus Angst, Schuld und Abwehr, den die Menschheit seit Jahrtausenden wiederholt. Und für meinen ganz persönlichen Geschmack ist es wirklich an der Zeit, dass das aufhört.
Die Sache mit den Geheimnissen
Ich habe nie verstanden, warum spirituelles Wissen so oft als „Geheimnis“ verkauft wird. Ob in Büchern wie The Secret (das ich nicht der braunen Esoterik zurechne) oder in Gruppen, die von „Eingeweihten“ und „Erwachten“ sprechen, dahinter steckt meist nur geschicktes Marketing. Geheimnisse erzeugen Spannung, Neugier, ein Gefühl von Besonderheit. Das wirkt anziehend und verkauft sich gut.
Aber der große Geist oder die Große Göttin ist nicht geheim. Das Lebendige ist überall und so offensichtlich, dass man es leicht übersieht. Es ist so weit, dass man es kaum fassen kann, und so nah, dass das Leben in jedem Atemzug mitschwingt. Es ist, im besten Sinne des Wortes, un-heimlich: nicht, weil es Angst macht, sondern weil das Leben sich nicht in Häuser, Gruppen oder Dogmen sperren lässt. Es ist frei. Und wer es wirklich spürt, hat kein Bedürfnis, es zu verstecken.
Ein Wort und sein Heim
Das Wort geheim stammt ursprünglich vom alten Heim, dem Ort, an dem man sich geborgen fühlt, im Inneren, im Vertrauten. Im Mittelhochdeutschen bedeutete „geheim“ zunächst: vertraut, zum Haus gehörend, im eigenen Kreis. Erst später wandelte sich die Bedeutung zu verborgen oder nicht öffentlich.
Vielleicht erinnert uns das daran, dass es Dinge gibt, die nicht versteckt werden müssen, sondern einfach nach Hause gehören ins Herz, in die Nähe, ins Vertrauen.
Der große Geist aber ist un-heimlich, weil er kein Zuhause braucht. Er ist überall zu Hause und genau darum kann man ihn nicht besitzen.
Alles ist Eins – aber nicht alles ist gleich
„In lak’ech ala k’in“ ist ein Gruß der Maya. Er steht für Verbundenheit und gegenseitige Anerkennung und heißt Ich bin ein anderes Du, und Du bist ein anderes Ich. Und in dieser Aussage steckt das Wort „anderes„.
„Alles ist Eins“ bedeutet nicht, dass alles gleich ist. Im Gegenteil. Gerade weil alles eins ist, muss jedes Teil anders sein. Ich bin ein anderes Du. Und das ist gut so.
Alles ist Eins, aber nicht alles ist gleich.
Wir sind viele Facetten desselben Lichts und nicht Kopien voneinander.“
Die Einheit ist nichts, das wir herstellen müssen, sie ist einfach da. Wir können sie nur leben, indem wir das Andere ehren, statt es zu bekämpfen, indem wir sagen: „Du darfst anders sein. Du darfst anders fühlen. Du darfst andere Wege gehen.“ Damit „erlaubst“ du dem Teil von dir selbst, der andere Wege gehen möchte, eigene Erfahrungen zu machen. Das ist Gleichwertigkeit im besten Sinne: Alles hat die gleiche Würde als Erfahrung. (In diesem Sinne ist auch braune Esoterik gleichwertig. Es geht mir in diesem Text nicht um Abwertung, sondern um Möglichkeiten der Unterscheidung).
Das ist gelebte Bedingungslose Selbstliebe. Wer sich selbst liebt, kann auch das andere Du so sein lassen, wie es eben sein möchte. Wenn ich in Frieden bin, muss niemand um mich herum gleich denken oder gleich glauben.
Echte Einheit lebt von Vielfalt, so wie ein Chor nur klingen kann, wenn jede Stimme ihren eigenen Ton findet.
Das Kino im Himmel
Manchmal stelle ich mir vor, dass wir uns nach unseren Inkarnationen alle oben in „himmlischen“ Kinos treffen. Dort gibt es große, weiche Sessel, Popcorn und vielleicht ein Glas Wein.
Und wir schauen uns gegenseitig unsere Lebensfilme an, lachen, weinen, staunen über die Rollen, die wir gespielt haben, die Kämpfe, die Irrwege, die Entdeckungen und Abenteuer, die wir erlebt haben.
Und jede Geschichte macht das Ganze reicher.
Die Gefahr der „besonderen Aufgabe“
Ich mag die Idee einer „Lebensaufgabe“ nicht. Ich spreche lieber von einer Idee oder von Schöpfungs- und Erfahrungswünschen, die eine Seele für Ihre Inkarnation hat. Eine Aufgabe bekommt man von einer höheren Instanz. Damit hat man nicht mehr die Verantwortung der eigenen Wahl.
Gerade in der braunen Esoterik führt die Idee von einer Aufgabe zu Überhöhung. Da haben plötzlich ganze Völker, z.B. das „arische Volk“ eine besondere göttliche Aufgabe. Das klingt zunächst edel und erhebend, birgt aber Überheblichkeit: Wer sich auserwählt fühlt, stellt sich über den Rest der Welt.
Für mich ist das der Moment, in dem Spiritualität ihre Freiheit verliert. Verbundenheit braucht keine Rangordnung. Sie sieht jedes Wesen als Ausdruck derselben schöpferischen Quelle: verschieden und gleichwertig.
„Wenn alles eins ist, kann nichts über etwas anderem stehen und niemand braucht Auserwähltheit, um bedeutend zu sein.“
Die Verlockung echter Sehnsucht
Bewegungen wie diese sprechen etwas an, das in vielen von uns lebt: die Sehnsucht nach Naturverbundenheit, nach Gemeinschaft, nach Sinn in einer Zeit der Vereinzelung. Genau das macht sie so gefährlich.
Sie berühren etwas Wahres, doch sie lenken den Blick nach außen, dorthin, wo die Erfüllung niemals zu finden ist. Man sucht weiter, jagt Bildern hinterher und merkt nicht, dass man sich immer weiter von sich selbst entfernt.
Du findest dich nicht im Außen, du findest dich im Innen. Und wenn du dich im Inneren wirklich gefunden hast, entsteht das Gefühl der Verbundenheit als gelebte Erfahrung von selbst in dir. Dann fühlst du dich eins mit der Welt, weil du erkennst: Ich bin die Welt. Dafür muss nichts an der Welt geändert werden, sie wandelt sich von selbst, wenn du dich selbst erkennst und zutiefst liebst.
Die Grenze zwischen Spiritualität und Wahn
Auch wenn ich zutiefst spirituell bin und mein Gefühl ganz bewusst als Informationsquelle nutze, heißt das nicht, dass ich meinen Verstand abgegeben habe. Im Gegenteil. Für mich ist der Verstand ein Prüfstein für das, was ich wahrnehme. Ich überprüfe meine Intuition, so gut es mir möglich ist. Das tu ich nicht, weil ich ihr misstraue, sondern weil ich sie ernst nehme.
Viele spirituelle Menschen fürchten, dass Denken sie „herunterzieht“. Aber Denken ist kein Feind der Spiritualität.
Es ist ihr Kompass in der materiellen Welt. Und so, wie rationale Menschen unbewusst oft emotional entscheiden, darf auch ein spiritueller Mensch bewusst logisch prüfen.
Sowohl alleiniges Denken als auch alleiniges Fühlen können in die Irre führen. Ich habe hier einen ausführlichen Beitrag zu Verstand und Gefühl geschrieben. Selbstverständlich ist auch die Verbindung von beidem kein Garant für „Wahrheit“, doch sie ist ein gewisser Schutz gegen Irrsinn.
Wenn ich z.B. logisch darüber nachdenke, ob eine kleine Elite die ganze Welt kontrollieren könnte und gleichzeitig in diesen Gedanken hineinfühle, dann spüre ich: Das geht gar nicht, denn Leben ist zu chaotisch, zu vielschichtig, zu frei. Menschen sind unberechenbar, kreativ, widersprüchlich. Selbst tausend kluge Köpfe könnten die Bewegungen der Seele nicht planen. Man kann vielleicht zeitweise Gruppen kontrollieren, aber nicht das Leben selbst. Denn Seelen sind freiheitsliebend, mehr noch: eine Seele ist die Freiheit selbst, und das Leben ist schöpferisch bis in seine kleinsten Zellen hinein.
Genau dasselbe sagt die Wissenschaft: Leben lässt sich nicht kontrollieren. Komplexe Systeme, ob Menschen, Gesellschaften oder Ökosysteme, folgen keiner zentralen Steuerung, sondern ihrer eigenen Dynamik.
Der Chemie-Nobelpreisträger Ilya Prigogine z.B. zeigte, dass sich in offenen Systemen – wie der Natur oder dem Leben selbst – aus Instabilität neue Ordnung bildet. Er schrieb:
„In offenen Systemen ist Instabilität die Quelle der Ordnung. (…)
„Dialog mit der Natur – Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens“ Piper Verlag, München 1984.
Das Universum ist nicht determiniert, sondern schöpferisch.“
Und der Soziologe Niklas Luhmann formulierte es ähnlich:
„Gesellschaft kann nicht gesteuert werden, weil sie sich selbst reproduziert.“
„Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie“ Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M., 1984.
Beides sagt letztlich dasselbe, was das Herz schon weiß: Das Leben lässt sich nicht kontrollieren. Das Leben ist selbstorganisiert, unvorhersehbar, schöpferisch. Oder anders gesagt: frei.
In meiner Welt widersprechen sich Wissenschaft und Spiritualität nicht, sie sprechen nur unterschiedliche Sprachen über dasselbe schöpferische Prinzip.
Alte Wunden
Als ich damals selbst noch so wütend auf das System war, hatte ich viele meiner eigenen Wunden noch nicht geheilt. Nach und nach merkte ich, dass ich meine eigenen Konflikte mit meiner Ursprungsfamilie auf die Gesellschaft projizierte. Das „System“ wurde zum strafenden und strengen Vater und zur nicht nährenden, dauernd fordernden Mutter. Ich befürchte, diese Projektion ist naheliegend und nicht nur bei mir so gewesen.
Und so wiederholt sich im Großen, was im Kleinen nie gewandelt wurde.
Was ich an mir selbst durch Erfahrung beobachtet habe, beschreibt auch die Psychologie. Von Erich Fromm und Alice Miller, die darin eine unbewusste Wiederholung alter Familienmuster sahen bis hin zu moderner Traumforschung: Das System wird zum Vater, der Staat zur Mutter, die uns entweder retten oder bestrafen sollen und wir reinszenieren dabei den im Körper gespeicherten Schrecken.
Erst wenn wir die Eltern in uns entlasten, beginnt wirkliche Freiheit, weil wir dann nicht mehr gegen die Welt kämpfen müssen, sondern mit ihr leben können.
Ich kenne das nach wie vor aus meiner eigenen Familie. Eine enge Verwandte ist Verschwörungsgläubige. Und ich glaube, sie mag es auch deshalb, weil es einfach ist. Weil diese Geschichten klare Schuldige haben und einfache Antworten geben. Sie mag es nach meiner Wahrnehmung auch, weil sie sich dabei als Opfer fühlen und trotzdem überlegen sein kann.
So kannst du unterscheiden
Es liegt in der Natur der Sache, dass Verbundenheit nicht trennt. Echte Verbundenheit fühlt sich anders an als geistige Überhöhung. Sie macht weit, ruhig und lebendig, nicht fanatisch oder missionarisch. Und sie lässt Raum für andere Wege neben dem eigenen.
- Wenn ich echte Verbundenheit spüre, werde ich innen weit.
- Sie führt nach innen, nicht in den Kampf.
- Sie ist kein System, das Antworten liefert, sondern ein Weg, der Fragen lebendig hält.
- Sie urteilt nicht über „die Schlafenden“, sie verachtet niemanden, der anders denkt.
- Verbundenheit lässt Mitgefühl wachsen, nicht Besserwissen oder Geheimnisse.
Hier ein paar ganz konkrete Möglichkeiten und Hinweise:
- Deine Körperreaktion: Dein Körper weiß es zuerst. Wenn sich etwas „klebrig“, eng, aufputscht oder manipulierend anfühlt, ist das ein Hinweis für erhöhte Aufmerksamkeit. Echte Verbundenheit fühlt sich warm, klar und friedlich an, auch wenn die Worte unbequem sind.
- Quellenprüfung: Stimmen die Aussagen mit überprüfbaren Fakten überein? Werden seriöse Quellen genannt oder nur „man hört“, „es wird gesagt“, „sie wollen nicht, dass du das weißt“? Echtheit braucht keine Geheimhaltung.
- Kontext prüfen: Schau, was diese Menschen sonst tun und vertreten. Wie sprechen sie über andere? Fördern sie Miteinander, oder nähren sie Spaltung? Folgen sie einem Ideal, das alle einschließt oder definieren sie „Erwachte“ und „Unwissende“?
- Interessen hinterfragen: Wer profitiert davon, wenn du an etwas glaubst, klickst, kaufst, spendest oder folgst? Echte Verbundenheit will teilen, nicht besitzen.
- Gefühl für Macht und Demut: Wer in Verbundenheit handelt, erhebt sich nicht über andere. Da ist kein Bedürfnis, recht zu haben oder zu bekehren. Es geht um Begegnung, nicht um Überlegenheit.
- Resonanz statt Rechthaben: Wenn jemand wirklich in Verbindung ist, lässt sich seine Botschaft prüfen, erweitern, ergänzen, ohne dass sie an Kraft verliert.
- Umgang mit Kritik: Menschen in echter Verbindung können zuhören, auch wenn man widerspricht. Wer sofort abwehrt, droht oder beschämt, verteidigt kein „Licht“, sondern Angst.
- Langzeitwirkung: Wie fühlst du dich nach Kontakt oder Konsum solcher Inhalte? Bist du genährt, inspiriert, friedlich? Oder leer, wütend, ängstlich, überlegen? Das ist oft der ehrlichste Kompass.
Vom „Dagegen“ ins Gestalten
Kämpfen ist leicht. Gegen etwas zu sein, braucht keine Vision – nur Wut oder Angst.
Aber etwas Neues zu erschaffen, das braucht Mut, Kreativität, Bewusstsein, Geduld und Ausdauer, und vor allem Herz.
Nach meiner Beobachtung verlieren sich sehr viele Menschen im Widerstand, weil er klarer scheint als die Leere, die entsteht, wenn man fragt: Was will ich eigentlich wirklich?
Viel schwieriger – und viel heilsamer – ist es, sich ehrlich zu fragen:
- Wie will ich selbst leben?
- Wie soll die Welt ganz konkret aussehen, in der ich lebe?
- Was will ich fühlen, erfahren, teilen?
- Welche Beziehungen und welche Formen von gesellschaftlichem Miteinander wünsche ich mir?
- Wie sollen Entscheidungen entstehen, Wirtschaft, Politik, Bildung, das tägliche Leben?
Solange ich gegen etwas kämpfe, bleibe ich rückwärtsgewandt: ich bekämpfe etwas, das aus der Vergangenheit stammt. So kann sich nichts ändern. Doch wenn ich beginne zu träumen, wenn ich das Neue innerlich sehe, dann fange ich an, Zukunft zu atmen.
Das ist die Bewegung vom Widerstand zur Schöpfung.
Nicht gegen, sondern für.
Nicht verteidigend, sondern gestaltend.
Nicht aus Angst, sondern aus Liebe.
Und so entsteht Wandel aus dem klaren Bewusstsein dessen, was ich in mir nähren will. Und Schritt für Schritt wird aus innerer Vision gelebte Realität und Spiritualität zu einem täglichen Ja zu Liebe, Klarheit und Verantwortung.
Zum Schluss
Spiritualität ist für mich kein Glaubenssystem, sondern eine Liebesbeziehung zum Leben selbst. Sie braucht keine Feinde, keine Aufklärer, keine Beweise. Sie braucht nur Menschen, die bereit sind, wahrhaftig zu fühlen, zu denken und zu lieben. Das ist Revolution genug.
Häufige Fragen zu brauner Esoterik
Was meine ich mit „brauner Esoterik“?
Strömungen, die spirituelle Sprache (Licht, Erwachen, Freiheit) nutzen, um nationalistische, autoritäre oder angstbasierte Ideologien zu transportieren. Hier geht es um Ideologien, nicht darum, einzelne Menschen abzuwerten.
Woran erkenne ich braune Esoterik auf den ersten Blick?
Angstschüren, Feindbilder, Auserwähltheits-Narrative, elitäre „Eingeweihte“, rigide Geschlechterrollen, Abwertung „Unwissender“ und ein kalter Ton unter spirituellen Begriffen.
Wie unterscheide ich gelebte Verbundenheit von geistiger Überhöhung?
Verbundenheit macht innerlich weit, friedlich und präsent. Überhöhung macht eng, aufwühlt, missionarisch. Prüfe: Wie fühlst du dich danach: genährt oder erschöpft/überlegen?
Warum sage ich: „Sie spricht von Wahrheit, meint aber Kontrolle“?
Wenn „Wahrheit“ besessen, verteidigt und als Zugehörigkeitskriterium genutzt wird, dient sie der Macht über Deutung. Wahrhaftigkeit dagegen ist lebendig, überprüfbar und braucht keine Bekehrung.
Wie mache ich eine schnelle Quellenprüfung?
Frage dich: Werden überprüfbare Quellen verlinkt? Gibt es mehrere unabhängige Belege? Werden Gegenargumente fair dargestellt? Finden sich typische Trigger-Formeln („Sie wollen nicht, dass du das weißt“)?
Was tun, wenn mir etwas „klebrig“ vorkommt, ich es aber nicht begründen kann?
Nimm deinen Körper ernst und drück kurz auf Pause. Später nüchtern prüfen (Quelle, Kontext, Interessen). Dein Körper ist kein Beweis, aber ein frühes Warnsystem.
Wie grenze ich mich ohne Kampfenergie ab?
Kurz, klar, freundlich: „Das fühlt sich für mich nicht stimmig an. Ich steige hier aus.“ Keine Debatten. Grenzen sind kein Urteil, sondern Selbstfürsorge.
Was, wenn Familie oder Freunde verschwörungsgläubig sind?
Beziehung vor „Recht haben“: Interesse zeigen, Fragen stellen („Was gibt dir das?“), kleine gemeinsame Realitätsinseln pflegen. Keine Dauerdiskussionen, keine Beschämung. Eigene Grenzen achten!
Ist „Alles ist Eins“ nicht ein Freifahrtschein für Gleichmacherei?
Nein. Einheit bedeutet Gleichwertigkeit, nicht Gleichheit. Unterschiedlichkeit bleibt heilig. Wer echte Einheit lebt, lässt Vielfalt ohne Rangordnung zu.
Wie verhalten sich Spiritualität und Wissenschaft in diesem Text?
Sie widersprechen sich nicht. Wissenschaft beschreibt Dynamiken (z. B. Selbstorganisation komplexer Systeme); Spiritualität beschreibt gelebte Erfahrung und Sinn. Zwei Sprachen – ein Feld.
Warum sind „Geheimnisse“ in der Spiritualität so verführerisch?
„Geheim“ erzeugt Besonderheitsgefühl und Spannung. Das ist oft Marketing. Der große Geist ist nicht geheim, sondern frei und allgegenwärtig. Er braucht keine Eingeweihten.
Was kann ich konkret tun, um im „Für statt Gegen“ zu landen?
Vision klären (Wofür stehe ich?), kleine tägliche Schritte, mediale Diät bei Angst-Feeds, Resonanzpflege (Natur, Körper, gute Beziehungen), regelmäßige Fakten- und Selbstprüfung. Deine Sehnsucht, deine tiefsten inneren Wünschen mutig wahrnehmen und dann losgehen, um sie mit den jetzt verfügbaren Mitteln umzusetzen.
Wenn du mehr lesen möchtest:
• Ilya Prigogine & Isabelle Stengers: Dialog mit der Natur (Piper, 1984).
• Niklas Luhmann: Soziale Systeme (Suhrkamp, 1984).
• Erich Fromm: Die Furcht vor der Freiheit (Suhrkamp).
• Alice Miller: Am Anfang war Erziehung (Suhrkamp).
• Bessel van der Kolk: Verkörperter Schrecken (Junfermann).
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