Geschätzte Lesezeit: 9 Minute(n)
Verborgene Gefühle sehen, fühlen, verwandeln
Hinweis: Dieser Beitrag wurde erstmals im Juli 2015 veröffentlicht und im August 2025 grundlegend überarbeitet und erweitert.
In einem meiner frühen Blogbeiträge hatte ich bereits über das Wesen des Hasses geschrieben, über eine Energie also, die wir meist lieber meiden. Hass ist eine der am tiefsten verdrängten Emotionen. Wir möchten liebevoll und verständnisvoll sein. Doch was passiert mit den Gefühlen, die nicht zu diesem Bild passen?
Auf Wunsch einer Kollegin habe ich vor einiger Zeit eine geführte Meditation entwickelt, um genau dieser kraftvollen, oft missverstandenen Energie bewusst zu begegnen. In diesem Beitrag teile ich keine Anleitung zur Meditation (Die findest du am Ende als Audio-Link in der HörBar auf meiner bisherigen Website seelen-t-raum.de. Dort findest du viele weitere Meditationen.), sondern lade dich ein zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Gefühl Hass.
Was bedeutet es, Hass anzunehmen, ohne ihn auszuleben? Was hat das mit Selbstliebe zu tun? Und warum kann gerade das Zulassen solcher Gefühle ein Tor zur Heilung sein?
Ich schreibe hier aus meiner eigenen Erfahrung, aus Begegnungen mit inneren Schatten und dem, was jenseits der Verurteilung liegt. Möge dieser Beitrag dich ermutigen, deinen eigenen Gefühlen Raum zu geben – auch den dunklen.
Triggerwarnung:
In diesem Beitrag geht es um die bewusste Auseinandersetzung mit Hass, einem stark verdrängten und emotional herausfordernden Gefühl. Wenn du selbst traumatische Erfahrungen gemacht hast oder aktuell psychisch instabil bist, lies diesen Text bitte achtsam und prüfe, ob du dich innerlich stabil genug fühlst. Ggf. kann es hilfreich sein, dich beim Lesen oder bei der späteren Meditation professionell begleiten zu lassen.
Das Wesen Hass
Eine schamanische Begegnung
„Hasse dich selbst und andere.“ Diese Botschaft erhielt ich einst aus der geistigen Welt. Sie kam nicht als Aufruf zur Gewalt. Sie kam als Einladung zur Wahrheit.
Ich war damals gemeinsam mit einer Schülerin auf eine schamanische Reise zu dem Wesen Hass gegangen. Zuerst war er kaum zu finden. Er wirkte hager, schmal, zurückgezogen. Auf meine Frage, warum er sich so verstecke, antwortete er nur: „Ich bin nicht derjenige, der sich verbirgt. Es sind die Menschen, die mich nicht fühlen wollen.“
Hass ist verletzte Liebe
In dieser Begegnung wurde mir etwas Entscheidendes bewusst: Hass ist nicht einfach das Gegenteil von Liebe. Er ist ein verstoßener Bruder. Er gehört zum All-Es. Und wenn wir ihn ablehnen, lehnen wir auch einen Teil von uns selbst ab.
Vielleicht ist es das, was ich heute noch tiefer verstehe:
Hass ist nicht das Gegenteil von Liebe.
Hass ist verletzte Liebe.
Er entsteht dort, wo Verbindung zerbricht, wo Nähe zu Schmerz wird – zu einem Schmerz, der nicht ohne Weiteres und nicht immer allein zu integrieren ist.
Selbsthass im Verborgenen
Der Hass zeigte mir auch, dass Selbsthass oft nicht wie Hass aussieht. Er kommt als ständige Selbstkritik, als Druck, als das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Und doch wirkt er tief: unbemerkt, aber zerstörerisch.
Die bewusste Hass-Dusche
Ich habe mich damals entschieden, dem Hass Raum zu geben. Ich habe eine bewusste Selbsthass-Dusche genommen und später auch eine Hass-Dusche in Bezug auf andere Menschen. Ich habe ihn durch meinen Körper fließen lassen, mit klarem Fokus, mit Geborgenheit in meinem Inneren. Ich habe ihn nicht gerechtfertigt. Ich habe ihn geliebt.
Und ja: Das hat etwas verändert. Hass, dem wir Liebe schenken, wird weich. Er verliert seine Schärfe. Er muss nicht mehr wirksam sein, nicht im Inneren, nicht im Außen. Er darf einfach wieder zurückfließen ins „Meer aller Möglichkeiten“.
Ein persönliches Beispiel – Trennung, Schmerz, Integration
Ein sehr persönliches Beispiel: Nach der Trennung von meinem Exfreund war ich tief verletzt, so tief, wie es bis dahin noch nicht vorkommen war in meinem Leben. Ich spürte tatsächlich Hass – und das will etwas heißen.
Ich bin geübt darin, Gefühle zu halten, durch mich hindurchfließen zu lassen. Doch in dieser Tiefe, mit diesem Schmerz, wusste ich zunächst nicht umzugehen. Und genau da begann etwas sich zu wandeln: als ich mir erlaubte, nicht stark sein zu müssen. Ich erlaubte mir dieses Gefühl und sprach es laut aus. Und ich bat um Unterstützung durch die geistige Welt, um Integration.
Kurze Zeit später wurde ich (nicht zum ersten Mal) auf den Podcast von Verena König aufmerksam gemacht. Sie spricht darin über Beziehungen mit narzisstisch geprägten Menschen und über viele andere tiefgreifende Themen rund um Trauma, Bindung und Heilung. Und plötzlich ergab vieles Sinn. Ich konnte die Beziehung neu einordnen in Bezug auf ihn, aber auch auf mich. Und wie so oft, wenn Verstehen sich mit Fühlen verbindet, verwandelte sich der Hass: in Mitgefühl. Für ihn. Für mich. Für das, was war.
Die Wut kommt manchmal noch vorbei. Aber der Hass hat sich wieder zurückgezogen in das große Ganze.
Der Frieden nach dem Fühlen
Ich glaube: Hass will nicht bekämpft oder abgeschafft werden. Er will gesehen, gefühlt, angenommen und geliebt werden. Nicht weil er das braucht. Sondern weil wir es brauchen. Weil jede verdrängte Energie in uns weiterwirkt und jede angenommene Energie sich verwandeln kann.
Willkommen im Leben mit dem Prinzip: Sowohl-als-auch.
Das ist das Leben in Paradoxien. Und im Frieden.
Was passiert, wenn wir Hass verdrängen?
Wenn Gefühle im Schatten wirken
Hass verschwindet nicht, nur weil wir ihn nicht fühlen wollen. Wenn wir ihn unterdrücken, verschiebt er sich ins Unbewusste, in den Körper, in unsere Beziehungen. Er wirkt dort wie ein schleichendes Gift: subtil, aber kraftvoll. Und vor allem: unbewusst.
Er zeigt sich dann als Abwehr, als Sarkasmus, als ständige Gereiztheit. Als Selbstabwertung. Als Körpersymptom. Oder als unerklärliche Distanz, wo wir eigentlich Nähe wünschen. Gerade wenn wir „liebevoll sein“ wollen, neigen wir dazu, vermeintlich dunkle Gefühle wie Hass aus unserem Erleben auszuschließen. Doch das macht sie nicht kleiner. Es macht sie nur unsichtbar – und damit machtvoller.
Energie folgt der Aufmerksamkeit
Was wir verdrängen, fordern wir heraus. Denn mit jedem Akt der Verdrängung lenken wir – bewusst oder unbewusst – unsere Energie genau dorthin. „Energy flows where focus goes“, heißt es. Und es stimmt: Wir brauchen enorme Kraft, um die Mauern aufrechtzuerhalten, die ungeliebte Gefühle in Schach halten sollen. Aber unter der Oberfläche arbeiten sie weiter und ziehen Situationen an, in denen sie sich zeigen dürfen.
Ich habe selbst erlebt, dass mir bei meinen inneren Aufräumprozessen plötzlich Hass begegnete, der aus früheren Inkarnationen stammte. Er war nicht „verschwunden“, nur weil ich ihn vergessen hatte. Er war Teil meines Feldes, solange, bis ich bereit war, ihn anzuschauen, anzunehmen, zu entlassen.
Wenn der Schatten ein Eigenleben entwickelt
Je weiter wir Gefühle wie Hass von uns abspalten (psychologisch spricht man auch von Abspaltung oder Dissoziation), desto mehr verselbstständigen sie sich. Sie beginnen, wie eigene Wesenheiten in unserem Leben und in unseren Beziehungen zu wirken. Und manchmal begegnen wir ihnen dann im Außen, in der Projektion. In der Trauma-Arbeit spricht man auch vom Schattenkind oder vom inneren Angreifer.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Menschen, der sagte: „Immer wenn mir etwas Gutes geschieht, wirkt irgendwo ein dunkler Magier gegen mich.“
Als ich hineinfühlte, wurde mir klar: Dieser dunkle Magier: das war er selbst. Ein abgespaltener Teil von ihm, den er so sehr verbannt hatte, dass er ihn nicht mehr als eigen erkennen konnte.
Ein weiteres Erlebnis hat sich mir besonders eingeprägt: Eine Frau berichtete mir, sie würde morgens regelmäßig von einer sehr wütenden, dunklen Präsenz geweckt. Sie beschrieb es als etwas Fremdes, Bedrohliches, fast wie ein bösartiger Geist. Sie hatte bereits viele energetisch arbeitende Menschen aufgesucht, mit kurzfristigen Erfolgen. Doch das Gefühl kehrte immer wieder zurück.
Ich ging für sie auf schamanische Reise und fand diese Präsenz. Doch sie war kein dunkler Geist im Außen. Es war ihr eigenes inneres Kind. Wütend, verzweifelt, abgelehnt. Es wollte endlich gesehen werden. Stattdessen wurde es immer wieder „weggemacht“, obwohl es doch zu ihr gehörte.
Ich habe ihr gesagt, dass eine spirituelle Begleitung in diesem Fall nicht der stimmigste Weg sei. Was es brauchte, war ein behutsamer, liebevoller Blick auf sich selbst, am besten in therapeutischer Begleitung. Ob sie diesen Weg gegangen ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß: Auch diese Energie war nichts Fremdes.
Sie war – wie so viele andere – ein zutiefst menschlicher, verletzter Teil auf der Suche nach Verbindung.
Und genau das ist das Risiko von Verdrängung: Was wir nicht integrieren, begegnet uns verzerrt, ungreifbar und machtvoll. Was wir annehmen, verliert seine Schärfe. Und wird wieder Teil von uns. Friedlich.
Schreibe einen Kommentar